Neuausrichtung
«Der Sturm geht erst jetzt los»
12. Februar 2020 agvs-upsa.ch – Am Beispiel von Volkswagen zeigt sich anschaulich, warum sich die Automobilhersteller neu ausrichten müssen und weshalb dafür kaum Zeit bleibt. Und es zeigt auch, worauf sich die Garagisten einstellen müssen.
Herbert Diess.
kro. Es kam für manchen Zuhörer am vergangenen «Tag der Schweizer Garagisten» etwas überraschend. Und wenn nicht überraschend, dann immerhin überraschend deutlich: Die Konsequenz, mit der Volkswagen in die Zukunft steuert. Und wer ausser CEO Herbert Diess hätte diesen neuen Kurs glaubwürdiger vermitteln können als der Leiter Strategie, Michael Jost. Zentrales Element ist eine nachhaltige Ausrichtung des weltgrössten Herstellers von Personenwagen mit weltweit 640'000 Beschäftigten: «Der Volkswagenkonzern ist sich seiner globalen Verantwortung bewusst und verpflichtet sich zu den Zielen des Pariser Klimaabkommens», sagte Jost. In der Konsequenz heisst das: VW wird spätestens 2050 vollständig klimaneutral produzieren. Was auch Jost selbst weiss: Das wird ein harter Ritt.
Zuerst einmal geht es Volkswagen darum, nach der Diesel-Thematik Glaubwürdigkeit und Vertrauen zurückzugewinnen – und gleichzeitig genügend Kredit zu bekommen für die neue Strategie; Kredit von der Öffentlichkeit, von der Politik, von Mitarbeitenden, von Händlern und nicht zuletzt natürlich von den Kunden. Als Unternehmen, an dem der Staat – im Fall von Volkswagen das Bundesland Niedersachsen – mitbeteiligt ist (11%), ist das besonders wichtig. Dass sich Volkswagen in diesem Rahmen nicht darauf beschränkt, die jeweils nächsten Ziele des CO2-Absenkpfades zu erreichen, sondern einen in seiner Radikalität einzigartigen neuen Weg geht, spricht für das Unternehmen.
Faktisch hat VW bereits damit begonnen, den Abschied vom Verbrenner einzuleiten. 2026, so rechnete Jost vor, wird die letzte Phase des Verbrenners beginnen. Dies auch deshalb, weil VW damit rechnet, dass in Europa, einem der wichtigsten Märkte für VW, voraussichtlich bereits ab 2040 keine Neuwagen mit Verbrennungsmotor mehr zugelassen werden – in einzelnen Ländern der EU zum Teil sogar noch früher.
Das Beispiel VW illustriert, warum sich die Hersteller neu ausrichten. Bei VW – und damit auch bei allen anderen Herstellern – stehen drei Treiber im Vordergrund: die digitale Transformation, die elektrische Transformation und das Bestreben, den Unternehmenswert zu steigern. Jeder der drei Faktoren ist für das Unternehmen von sehr hoher Relevanz; in ihrer Kombination sogar überlebenswichtig. Kommt dazu: Für den Wandel bleibt kaum Zeit.
Michael Jost.
Zwei Tage nach dem Besuch von Michael Jost am «Tag der Schweizer Garagisten» veröffentlichte die «Automobilwoche» eine Rede von VW-Konzernchef Herbert Diess, die er vor VW-Führungskräften gehalten hat und die einen tiefen Einblick erlaubt, wie ernst, um nicht zu sagen dramatisch, die Situation ist. Denn, so Diess: «Der Sturm geht erst jetzt los.» Mit dem Sturm meint Diess den Kampf um die Vorherrschaft beim Automobil der Zukunft, die den traditionellen Autoherstellern zunehmend von innovativen Tech-Unternehmen streitig gemacht wird. Für Diess ist klar: «Das Automobil wird in Zukunft das komplexeste, wertvollste, massentaugliche Internet-Device.» Im Kern geht es damit um die Frage: Werden die Tech-Unternehmen Zulieferer der Autoindustrie, weil das Auto künftig die Funktionen eines Smartphones hat, aber ein Auto bleibt – oder wird die Autoindustrie Zulieferer der Tech-Unternehmen, weil das Auto zum autonomen Smartphone wird?
«Wir verbringen im Automobil der Zukunft mehr Zeit als heute, vielleicht zwei Stunden statt einer» rechnet Diess vor. Im Auto werde man kontinuierlich online sein, weit mehr Daten verschicken als bisher mit Smartphones, aber auch mehr Informationen, Dienste, Sicherheit und Komfort aus dem Internet beziehen. Wenn man sich das vor Augen halte, verstehe man auch, weshalb Tesla als Tech-Unternehmen und nicht als Autohersteller betrachtet werde und aus Sicht der Analysten deshalb so wertvoll sei. Der Börsenwert von Tesla hat diese Tage die Grenze von 100 Milliarden Dollar überschritten und ist mehr wert als jener von VW mit knapp 90 Milliarden Euro. Deshalb will Herbert Diess «auch genau dorthin». Die Frage aber laute, ob man schnell genug sei. Diess gibt die Antwort gleich selber: «Vielleicht, aber es wird immer kritischer.» Mache man mit dem bisherigen Tempo so weiter, werde es sogar «sehr eng».
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Der VW-Chef vergleicht die aktuelle Situation der Automobilindustrie mit jener von Nokia, einem einstmals sehr erfolgreichen Hersteller von Mobiltelefonen. Apple-Gründer Steve Jobs habe damals verstanden, dass sich die Funktion des Mobiltelefons grundlegend ändere und der Zugang zum Internet wichtiger werde als das Telefon selbst. Wenige Jahre später war Nokia Geschichte. «Das», sagt Diess, «ist exakt die Situation, die sich in der Automobilindustrie wiederholt.» Das Auto sei nicht länger nur Transportmittel. «Und das bedeutet auch: Die Zeit klassischer Automobilhersteller ist vorbei.» Deshalb liege für Volkswagen die Zukunft im digitalen Tech-Konzern, ist Diess überzeugt – «und nur da». In diesem Rahmen verabschiedet sich VW auch von der Volumenorientierung hin zur Ergebnisqualität: Weniger Stückzahlen, dafür aber eine höhere Rendite.
Für den Garagisten hat jeder der drei Treiber für diesen Wandel Konsequenzen:
Digitalisierung: Sie führt einerseits dazu, dass die Fahrzeuge technologisch immer komplexer und die Anforderungen im Bereich Software und damit die Arbeit am Fahrzeug immer anspruchsvoller werden. Anderseits führt die Digitalisierung des Autos dazu, dass der Hersteller immer direkter auf das Fahrzeug zugreifen wird – einerseits, um all die vorhandenen Daten zu erheben, anderseits um Updates aufzuschalten.
Elektrische Transformation: Das Beispiel VW macht deutlich, wie schnell es plötzlich gehen kann. In den nächsten zwei Jahren explodiert die Angebotspalette bei VW förmlich. Weil der Hersteller drückt und die Kunden zunehmend nachfragen, steht der Händler als Schnittstelle in der Verpflichtung, Elektromobilität in all ihren Facetten so profund zu verstehen wie den Verbrennungsmotor.
Unternehmenswert: Michael Jost hat am «Tag der Schweizer Garagisten» erklärt, warum auch der dritte Treiber des Wandels so enorm wichtig ist – weil er die Währung für notwendige Kooperationen ist. Wenn sich zwei Partner zu einem Projekt zusammentun und es darum geht, wer führt, dann gewinnt jener mit dem grösseren Unternehmenswert. Würde VW jetzt mit Tesla kooperieren, sässen die Wolfsburger am kürzeren Hebel. Das ist zwar Irrsinn, aber Realität. Die Hersteller werden also alles daransetzen, ihren Unternehmenswert zu steigern. Das heisst unter anderem auch, dass Renditeziele noch konsequenter verfolgt werden. Und das wiederum heisst: Der Druck auf Umsatz und Ertrag wird noch zunehmen.
Weder Michael Jost noch Herbert Diess lassen an ihrer Überzeugung zweifeln. Auch, weil sie wissen, dass sie vor einer der grössten Herausforderungen in der Geschichte ihres Unternehmens stehen. Und weil sie wissen, dass sie dazu alle an Bord haben müssen: «Wir brauchen die gemeinsame Einsicht in die Radikalität des Wandels, in die Grösse unserer Aufgabe und in die Kürze der Zeit», sagt Herbert Diess, «sie gibt uns genau einen einzigen Versuch, Volkswagen für die Zukunft zu sichern.»
Herbert Diess.
kro. Es kam für manchen Zuhörer am vergangenen «Tag der Schweizer Garagisten» etwas überraschend. Und wenn nicht überraschend, dann immerhin überraschend deutlich: Die Konsequenz, mit der Volkswagen in die Zukunft steuert. Und wer ausser CEO Herbert Diess hätte diesen neuen Kurs glaubwürdiger vermitteln können als der Leiter Strategie, Michael Jost. Zentrales Element ist eine nachhaltige Ausrichtung des weltgrössten Herstellers von Personenwagen mit weltweit 640'000 Beschäftigten: «Der Volkswagenkonzern ist sich seiner globalen Verantwortung bewusst und verpflichtet sich zu den Zielen des Pariser Klimaabkommens», sagte Jost. In der Konsequenz heisst das: VW wird spätestens 2050 vollständig klimaneutral produzieren. Was auch Jost selbst weiss: Das wird ein harter Ritt.
Zuerst einmal geht es Volkswagen darum, nach der Diesel-Thematik Glaubwürdigkeit und Vertrauen zurückzugewinnen – und gleichzeitig genügend Kredit zu bekommen für die neue Strategie; Kredit von der Öffentlichkeit, von der Politik, von Mitarbeitenden, von Händlern und nicht zuletzt natürlich von den Kunden. Als Unternehmen, an dem der Staat – im Fall von Volkswagen das Bundesland Niedersachsen – mitbeteiligt ist (11%), ist das besonders wichtig. Dass sich Volkswagen in diesem Rahmen nicht darauf beschränkt, die jeweils nächsten Ziele des CO2-Absenkpfades zu erreichen, sondern einen in seiner Radikalität einzigartigen neuen Weg geht, spricht für das Unternehmen.
Faktisch hat VW bereits damit begonnen, den Abschied vom Verbrenner einzuleiten. 2026, so rechnete Jost vor, wird die letzte Phase des Verbrenners beginnen. Dies auch deshalb, weil VW damit rechnet, dass in Europa, einem der wichtigsten Märkte für VW, voraussichtlich bereits ab 2040 keine Neuwagen mit Verbrennungsmotor mehr zugelassen werden – in einzelnen Ländern der EU zum Teil sogar noch früher.
Das Beispiel VW illustriert, warum sich die Hersteller neu ausrichten. Bei VW – und damit auch bei allen anderen Herstellern – stehen drei Treiber im Vordergrund: die digitale Transformation, die elektrische Transformation und das Bestreben, den Unternehmenswert zu steigern. Jeder der drei Faktoren ist für das Unternehmen von sehr hoher Relevanz; in ihrer Kombination sogar überlebenswichtig. Kommt dazu: Für den Wandel bleibt kaum Zeit.
Michael Jost.
Zwei Tage nach dem Besuch von Michael Jost am «Tag der Schweizer Garagisten» veröffentlichte die «Automobilwoche» eine Rede von VW-Konzernchef Herbert Diess, die er vor VW-Führungskräften gehalten hat und die einen tiefen Einblick erlaubt, wie ernst, um nicht zu sagen dramatisch, die Situation ist. Denn, so Diess: «Der Sturm geht erst jetzt los.» Mit dem Sturm meint Diess den Kampf um die Vorherrschaft beim Automobil der Zukunft, die den traditionellen Autoherstellern zunehmend von innovativen Tech-Unternehmen streitig gemacht wird. Für Diess ist klar: «Das Automobil wird in Zukunft das komplexeste, wertvollste, massentaugliche Internet-Device.» Im Kern geht es damit um die Frage: Werden die Tech-Unternehmen Zulieferer der Autoindustrie, weil das Auto künftig die Funktionen eines Smartphones hat, aber ein Auto bleibt – oder wird die Autoindustrie Zulieferer der Tech-Unternehmen, weil das Auto zum autonomen Smartphone wird?
«Wir verbringen im Automobil der Zukunft mehr Zeit als heute, vielleicht zwei Stunden statt einer» rechnet Diess vor. Im Auto werde man kontinuierlich online sein, weit mehr Daten verschicken als bisher mit Smartphones, aber auch mehr Informationen, Dienste, Sicherheit und Komfort aus dem Internet beziehen. Wenn man sich das vor Augen halte, verstehe man auch, weshalb Tesla als Tech-Unternehmen und nicht als Autohersteller betrachtet werde und aus Sicht der Analysten deshalb so wertvoll sei. Der Börsenwert von Tesla hat diese Tage die Grenze von 100 Milliarden Dollar überschritten und ist mehr wert als jener von VW mit knapp 90 Milliarden Euro. Deshalb will Herbert Diess «auch genau dorthin». Die Frage aber laute, ob man schnell genug sei. Diess gibt die Antwort gleich selber: «Vielleicht, aber es wird immer kritischer.» Mache man mit dem bisherigen Tempo so weiter, werde es sogar «sehr eng».
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Der VW-Chef vergleicht die aktuelle Situation der Automobilindustrie mit jener von Nokia, einem einstmals sehr erfolgreichen Hersteller von Mobiltelefonen. Apple-Gründer Steve Jobs habe damals verstanden, dass sich die Funktion des Mobiltelefons grundlegend ändere und der Zugang zum Internet wichtiger werde als das Telefon selbst. Wenige Jahre später war Nokia Geschichte. «Das», sagt Diess, «ist exakt die Situation, die sich in der Automobilindustrie wiederholt.» Das Auto sei nicht länger nur Transportmittel. «Und das bedeutet auch: Die Zeit klassischer Automobilhersteller ist vorbei.» Deshalb liege für Volkswagen die Zukunft im digitalen Tech-Konzern, ist Diess überzeugt – «und nur da». In diesem Rahmen verabschiedet sich VW auch von der Volumenorientierung hin zur Ergebnisqualität: Weniger Stückzahlen, dafür aber eine höhere Rendite.
Für den Garagisten hat jeder der drei Treiber für diesen Wandel Konsequenzen:
Digitalisierung: Sie führt einerseits dazu, dass die Fahrzeuge technologisch immer komplexer und die Anforderungen im Bereich Software und damit die Arbeit am Fahrzeug immer anspruchsvoller werden. Anderseits führt die Digitalisierung des Autos dazu, dass der Hersteller immer direkter auf das Fahrzeug zugreifen wird – einerseits, um all die vorhandenen Daten zu erheben, anderseits um Updates aufzuschalten.
Elektrische Transformation: Das Beispiel VW macht deutlich, wie schnell es plötzlich gehen kann. In den nächsten zwei Jahren explodiert die Angebotspalette bei VW förmlich. Weil der Hersteller drückt und die Kunden zunehmend nachfragen, steht der Händler als Schnittstelle in der Verpflichtung, Elektromobilität in all ihren Facetten so profund zu verstehen wie den Verbrennungsmotor.
Unternehmenswert: Michael Jost hat am «Tag der Schweizer Garagisten» erklärt, warum auch der dritte Treiber des Wandels so enorm wichtig ist – weil er die Währung für notwendige Kooperationen ist. Wenn sich zwei Partner zu einem Projekt zusammentun und es darum geht, wer führt, dann gewinnt jener mit dem grösseren Unternehmenswert. Würde VW jetzt mit Tesla kooperieren, sässen die Wolfsburger am kürzeren Hebel. Das ist zwar Irrsinn, aber Realität. Die Hersteller werden also alles daransetzen, ihren Unternehmenswert zu steigern. Das heisst unter anderem auch, dass Renditeziele noch konsequenter verfolgt werden. Und das wiederum heisst: Der Druck auf Umsatz und Ertrag wird noch zunehmen.
Weder Michael Jost noch Herbert Diess lassen an ihrer Überzeugung zweifeln. Auch, weil sie wissen, dass sie vor einer der grössten Herausforderungen in der Geschichte ihres Unternehmens stehen. Und weil sie wissen, dass sie dazu alle an Bord haben müssen: «Wir brauchen die gemeinsame Einsicht in die Radikalität des Wandels, in die Grösse unserer Aufgabe und in die Kürze der Zeit», sagt Herbert Diess, «sie gibt uns genau einen einzigen Versuch, Volkswagen für die Zukunft zu sichern.»
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