Interview mit René Degen, Garagist und AGVS-Zentralvorstand, Bereich Dienstleistungen und Aftersales: «Der Auto-Salon bereitet mir Glücksgefühle»

Unter den gut 700 000 Besuchern, die jedes Jahr den Auto-Salon Genf besuchen, sind auch tausende Garagisten. Einer von ihnen ist René Degen. AUTOINSIDE sprach mit ihm über die bevorstehende Messe, die Bedeutung von Aftersalesin der heutigen Zeit und über das Autogewerbe im Allgemeinen. Mario Borri und Sascha Rhyner, Redaktion

 

Was beschäftigt Sie als Garagist derzeit am meisten?
René Degen: Mich beschäftigt die Entwicklung der Branche in den kommenden vier Jahren. Ich bin zwar nicht Mike Shiva, doch ich bin mir sicher, dass bis 2020 die Weichen für die Zukunft des Autogewerbes gestellt werden. Die Elektrifizierung, die Digitalisierung, autonome Autos und neue Mobilitätsformen wie Carsharing machen den Garagisten von heute zum Auslaufmodell. Die gesamte Branche muss sich einer Verjüngungskur unterziehen. Eine Anti-Aging-Crème reicht dafür aber nicht. Damit wir Garagisten auch weiterhin von unserer Arbeit leben können, müssen wir zu Mobilitätsdienstleistern werden. Das tönt zwar einfach, ist aber ein Prozess, der viel Zeit braucht. Der AGVS unterstützt seine Mitglieder in diesem Prozess, wo es nur geht.


Am Auto-Salon stehen die Neuwagen im Schaufenster, doch für die Garagisten sind Neuwagenverkäufe wegen der sinkenden Margen nicht mehr gleich interessant wie früher. Welche Geschäftsfelder sind aus Ihrer Sicht für Garagisten am interessantesten?
Es ist ein Fakt, am Neuwagenverkauf verdienen wir nicht mehr so viel wie früher. Der Verkauf eines neuen Autos wird aber das Hauptgeschäft von uns Garagisten bleiben. Mir persönlich macht es Freude, einen Neuwagen zu verkaufen – emotional und rational. Bei der kleineren Marge müssen wir halt mehr Stückzahlen machen. Und es ist ja nicht nur das Auto. Mit dem Verkauf eines Neuwagens schnüren wir unseren Kunden ein ganzes Paket mit Dienstleistungen, Reifenservice, Ersatzteilen, Ersatzwagen und dem Angebot von anderen Mobilitätslösungen.

Welche Erwartungen haben Ihre Kunden an Sie als Garagist?
Die Kunden erwarten, ernst genommen zu werden. Sie erwarten grosse Kompetenz in allen Bereichen der Mobilität und sie erwarten Kostentransparenz. Der heutige Garagenkunde will einen Kostenvoranschlag, der nicht überzogen wird – 350 Franken sind 350 Franken und nicht 500. Ausserdem will der Kunde jederzeit mobil sein, auch wenn sein Auto im Service oder in Reparatur ist. Dabei muss es nicht mal ein Ersatzwagen sein. Wir stellen unseren Kunden auch Trambillets oder ein Elektrovelo zur Verfügung.

Stellen Sie Veränderungen bei der Arbeit des Kundendienstberaters fest?
Ja, definitiv. Gleichgeblieben ist einzig die Tatsache, dass der Kundendienstberater eine der wichtigsten Personen im Betrieb ist. Erstens ist er besser organisiert als früher. Sein Hauptwerkzeug ist das iPad, mit dem er die Direktannahme und den Kostenvoranschlag gleich ausdrucken kann. Zweitens muss er mehr Sozialkompetenz beweisen. Er muss zuhören können und die Wünsche der Kunden auch zwischen den Zeilen verstehen. Drittens muss er eine politische Meinung haben. Wenn wir in der Garage Plakate aufhängen, wie letzten Monat beim NAF, muss er mit den Kunden darüber sprechen können. Wir sollten uns generell mehr mit Politik beschäftigen, uns mit unserer Meinung etwas weiter zum Fenster hinauslehnen. Viele machen das nicht, weil sie Angst haben, sie könnten Kunden verlieren. Vielleicht gewinnen sie dadurch aber auch einen.

Welche Dienstleistungen kommen bei Kunden am besten an?
Ich sage immer, die Zusatzmeile bringt es. Man sollte die Erwartungen der Kunden übertreffen, einen Schritt weitergehen, als man müsste. Dann sind die Kunden zufrieden. Ein Beispiel: Meine Kunden schätzen es sehr, wenn das Auto geputzt ist, wenn sie es vom Service oder Reifenwechsel abholen. Das klingt zwar etwas altbacken, zieht aber immer noch sehr gut, wie unsere Kundenumfragen ergeben.

Sie bieten einen Pannendienst an. Ist es vielleicht ein Geschäftsfeld für die Zukunft, dass der Garagist – wie der Hausarzt –Hausbesuche macht, um kleinere Reparaturen in der privaten Garage zu erledigen?
Wie gesagt, ich bin nicht Mike Shiva und kann nicht Kaffeesatz lesen. Aber dass wir in Zukunft mit dem Wagenheber zu unseren Kunden nach Hause fahren, um die Räder zu wechseln, glaube ich nicht. Eher ist es denkbar, dass man vielleicht Updates für die Elektronik vor Ort macht. Das Motto ist hier: Neue Technologien eröffnen neue Geschäftsfelder. Wir werden sehen, was die Zukunft bringt.

Welche Bedeutung hat Aftersales für den Garagisten heute und in Zukunft?
Eine enorm wichtige. Mit dem Aftersales und den Dienstleistungen, die dazu gehören, verdienen wir Geld – sei es zum Beispiel mit dem Angebot einer Reifen-Pension, der Verlängerung der Garantie oder der Zurverfügungstellung von anderen Mobilitätslösungen. Mit einem professionell aufgezogenen Aftersales-Geschäft festigen wir auch die Beziehung zu unseren Kunden. Durch die zunehmende Digitalisierung ist hier bei der Professionalität noch viel Luft nach oben.Doch wird es immer schwieriger, mit Aftersales Geld zu verdienen. Dass Elektroautos weniger Wartung und Ersatzteile brauchen, ist leider Tatsache. Ich verkaufe seit vier Jahren E-Autos und muss diese Tendenz bestätigen. Wie gesagt: Da kommt etwas auf uns zu. Um diese Mindereinnahmen aufzufangen,müssten die Hersteller den Garagisten wieder mehr Marge ermöglichen.

Wie kann Carsharing zu einem Geschäftsfeld für den Garagisten werden?
Das ist enorm schwierig. Der Garagist kann preislich nicht mit den Carsharing-Anbietern wie zum Beispiel Catch a Car mithalten. Vielleicht sollte der Garagist so etwas wie ein Stützpunkt für selbstfahrende Sharing-Autos werden. Dort könnten die Autos per induktive Ladestation aufgeladen werden und von dort zum Kunden losfahren, der das Auto per App bestellt hat. Und wenn es ein technisches Problem gibt, kommt das Auto autonom zum Garagisten, der es dann repariert.

Macht es für Garagisten Sinn, sich untereinander auszutauschen und für gewisse Geschäftsfelder sogar zusammenzuschliessen?
Ja, unbedingt. Denn je härter die Zeiten sind, desto näher muss man zusammenstehen. Das war schon immer so. Auch der letzte «Tag der Schweizer Garagisten» hat das gezeigt. Nicht umsonst waren so viele Mitglieder wie noch nie am Anlass. Die Teilnehmenden sassen zusammen, diskutierten über Probleme, aber wiesen einander auch auf mögliche Chancen hin. Ich plane hier im Leimental mit gut 15 Garagisten ein regelmässiges Treffen, um zu diskutieren und die Gemeinschaft zu pflegen. Die Reaktionen auf meine Idee waren durchweg positiv. In so einer Gemeinschaft könnte man durchaus auch Werkzeuge teilen.

Wie kann der AGVS seine Mitglieder im Bereich Dienstleistungen/Aftersales unterstützen?
Die Mitglieder erwarten von uns, dass wir ihnen Dienstleistungen anbieten, mit denen sie einen Mehrwert erzielen, die sich positiv auf den Umsatz auswirken und die das Image der Garagisten stärken. Der AutoEnergieCheck ist zum Beispiel eine solche Dienstleistung. Und weitere sind bereits in Planung.

Welche Inspiration nehmen Sie vom Auto-Salon in Genf jeweils mit ins Tagesgeschäft?
Jedes Mal, wenn ich vom Auto-Salon wieder nach Hause komme, bin ich voll motiviert. Ich nehme 1000 Ideen mit, die ich gleich umsetzen möchte. Natürlich setze ich nicht alle um, aber das Glücksgefühl, das ich verspüre, zeigt mir, dass ich mich vor 45 Jahren für den richtigen Beruf entschieden habe. Ich sage immer: So lange ich die Augen der Salon-Besucher leuchten sehe, wenn sie sich die neuen Modelle anschauen, mache ich mir um die Autobranche keine Sorgen.


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