Geschichte der Schweizer Autobahnen
Einst waren Strassen eine «Bereicherung der Landschaft»
6. Mai 2024 agvs-upsa.ch – Im Herbst stimmt die Schweiz über den geplanten Autobahnausbau ab. Nicht immer waren Schnellstrassen in diesem Land aber ein Stein des Anstosses. Früher wurden sie gar frenetisch bejubelt. Selbst von linker Seite. Yves Schott
Bau der Autobahn Luzern-Ennethorw bei der Grisigenstrasse um 1954. Foto: Staatsarchiv Luzern
Es ist das Jahr 1955. Winston Churchill tritt als britischer Premierminister zurück. Die Bundesrepublik Westdeutschland wird ein souveräner Staat. Die Sowjetunion und sieben osteuropäische Länder unterzeichnen den Warschauer Pakt. Und in der Schweiz wird die erste Autobahn – oder zumindest ein Teilstück – eröffnet. Die Premiere erfolgt am 11. Juni im Süden von Luzern, ungefähr dort, wo heute die Brauerei Eichhof steht.
Rund vier Kilometer lang ist die Strecke, sie erstreckt sich zwischen Luzern und Ennethorw. In der Sonderbeilage der katholisch-konservativen Zeitung «Vaterland» heisst es damals: «Diese bahnbrechende Tat bedeutet einen Wendepunkt im schweizerischen Strassenbau.» Der Tag, so ist weiter zu lesen, sei mit der «Eröffnung der ersten Eisenbahnlinie Zürich- Baden» gleichzusetzen. Das Autobahnteilstück verfügt übrigens weder über Leitplanken noch Pannenstreifen, auch ein Tempolimit existiert keines! Platz hat es dafür für Fussgängerstreifen, Pferdefuhrwerke – und für Velos, wie Alexander Rechsteiner in seinem Blog fürs Nationalmuseum schreibt. Noch hat der Bund im Strassenbau übrigens keine Kompetenzen im Strassenbau, trotzdem unterstützt er das acht Millionen Franken teure Projekt zu 60 Prozent.
Auf dem Grauholz ertönt der «Berner Marsch»
Ganz generell nimmt der Bau von Autobahnen in der Schweiz verhältnismässig spät Fahrt auf. 1950 sind insgesamt gerade einmal 147000 Autos registriert. Dann, nach Ende des Zweiten Weltkriegs, steigt diese Zahl aufgrund des steigenden Wohlstands markant an und wächst innerhalb von zehn Jahren um das Dreieinhalbfache.
Es herrscht also Aufbruchstimmung im Land. Autobahnen werden als Wirtschaftsmotor gesehen, als Zeichen des Fortschritts und der technischen Entwicklung. Eine Verschandelung der Natur? Im Gegenteil. Das «Vaterland» jubelt 1955 über die «harmonische Linienführung» der neuen Schnellstrasse, die die Landschaft «geradezu bereichert» habe. Heute ist dieser Abschnitt übrigens als E35 Teil des europäischen Netzes zwischen Amsterdam und Rom.
Sehr ähnlich tönt es nur einige Jahre später. «Die Autobahn fügt sich ausgezeichnet in die herrliche bernische Landschaft ein», sagt alt Bundesrat Hans Peter Tschudi (†) 1962 auf dem Berner Grauholz. Der «Berner Marsch» ertönt, kurz darauf wird die Nationalstrasse 1, die heutige A1, für den Verkehr freigegeben. So beschreibt die «NZZ» die Szenerie. Tschudi, ein Sozialdemokrat, meint überzeugt: «Das Werk von uns Menschen beeinträchtigt das Bild der Heimat nicht.»
Karte der Nationalstrassenplanung von 1958. Foto: Schweizerisches Bundesarchiv
«Kölliken dankt für die Autobahn»
Selbstverständlich gibt es schon in dieser Zeit kritische Stimmen. Alles in allem allerdings überwiegt in Bezug auf den Strassenbau hingegen eine betont positive Gemütslage. Auf Brücken stehen Sätze wie «Kölliken dankt für die Autobahn». Wohnungen mit Blick auf die Nationalstrassen können gar zu besonders lukrativen Preisen vermietet werden – das will Satiriker Mike Müller, der die A1 2015 in einem Bühnenprojekt thematisierte, herausgefunden haben.
Seit 1960 trägt der Bund die Verantwortung für den Bau von Autobahnen. Dem voraus geht 1956 eine Volksinitiative, eingereicht von ACS und TCS, die das Ziel hat, das Strassennetz zu verbessern. Mindestens die Hälfte aller Einnahmen durch die Mineralölsteuer auf Kraftstoffen soll für den Bau von Autostrassen verwendet werden. 1958 wird ein Gegenentwurf des Bundes mit 85 Prozent Ja-Stimmen angenommen.
Bau der Autobahn Luzern-Ennethorw bei der Grisigenstrasse um 1954. Foto: Staatsarchiv Luzern
Es ist das Jahr 1955. Winston Churchill tritt als britischer Premierminister zurück. Die Bundesrepublik Westdeutschland wird ein souveräner Staat. Die Sowjetunion und sieben osteuropäische Länder unterzeichnen den Warschauer Pakt. Und in der Schweiz wird die erste Autobahn – oder zumindest ein Teilstück – eröffnet. Die Premiere erfolgt am 11. Juni im Süden von Luzern, ungefähr dort, wo heute die Brauerei Eichhof steht.
Rund vier Kilometer lang ist die Strecke, sie erstreckt sich zwischen Luzern und Ennethorw. In der Sonderbeilage der katholisch-konservativen Zeitung «Vaterland» heisst es damals: «Diese bahnbrechende Tat bedeutet einen Wendepunkt im schweizerischen Strassenbau.» Der Tag, so ist weiter zu lesen, sei mit der «Eröffnung der ersten Eisenbahnlinie Zürich- Baden» gleichzusetzen. Das Autobahnteilstück verfügt übrigens weder über Leitplanken noch Pannenstreifen, auch ein Tempolimit existiert keines! Platz hat es dafür für Fussgängerstreifen, Pferdefuhrwerke – und für Velos, wie Alexander Rechsteiner in seinem Blog fürs Nationalmuseum schreibt. Noch hat der Bund im Strassenbau übrigens keine Kompetenzen im Strassenbau, trotzdem unterstützt er das acht Millionen Franken teure Projekt zu 60 Prozent.
Auf dem Grauholz ertönt der «Berner Marsch»
Ganz generell nimmt der Bau von Autobahnen in der Schweiz verhältnismässig spät Fahrt auf. 1950 sind insgesamt gerade einmal 147000 Autos registriert. Dann, nach Ende des Zweiten Weltkriegs, steigt diese Zahl aufgrund des steigenden Wohlstands markant an und wächst innerhalb von zehn Jahren um das Dreieinhalbfache.
Es herrscht also Aufbruchstimmung im Land. Autobahnen werden als Wirtschaftsmotor gesehen, als Zeichen des Fortschritts und der technischen Entwicklung. Eine Verschandelung der Natur? Im Gegenteil. Das «Vaterland» jubelt 1955 über die «harmonische Linienführung» der neuen Schnellstrasse, die die Landschaft «geradezu bereichert» habe. Heute ist dieser Abschnitt übrigens als E35 Teil des europäischen Netzes zwischen Amsterdam und Rom.
Sehr ähnlich tönt es nur einige Jahre später. «Die Autobahn fügt sich ausgezeichnet in die herrliche bernische Landschaft ein», sagt alt Bundesrat Hans Peter Tschudi (†) 1962 auf dem Berner Grauholz. Der «Berner Marsch» ertönt, kurz darauf wird die Nationalstrasse 1, die heutige A1, für den Verkehr freigegeben. So beschreibt die «NZZ» die Szenerie. Tschudi, ein Sozialdemokrat, meint überzeugt: «Das Werk von uns Menschen beeinträchtigt das Bild der Heimat nicht.»
Karte der Nationalstrassenplanung von 1958. Foto: Schweizerisches Bundesarchiv
«Kölliken dankt für die Autobahn»
Selbstverständlich gibt es schon in dieser Zeit kritische Stimmen. Alles in allem allerdings überwiegt in Bezug auf den Strassenbau hingegen eine betont positive Gemütslage. Auf Brücken stehen Sätze wie «Kölliken dankt für die Autobahn». Wohnungen mit Blick auf die Nationalstrassen können gar zu besonders lukrativen Preisen vermietet werden – das will Satiriker Mike Müller, der die A1 2015 in einem Bühnenprojekt thematisierte, herausgefunden haben.
Seit 1960 trägt der Bund die Verantwortung für den Bau von Autobahnen. Dem voraus geht 1956 eine Volksinitiative, eingereicht von ACS und TCS, die das Ziel hat, das Strassennetz zu verbessern. Mindestens die Hälfte aller Einnahmen durch die Mineralölsteuer auf Kraftstoffen soll für den Bau von Autostrassen verwendet werden. 1958 wird ein Gegenentwurf des Bundes mit 85 Prozent Ja-Stimmen angenommen.
In den darauffolgenden Jahren wird kräftig investiert: Es kommen stetig neue Abschnitte hinzu, pünktlich zur Landesausstellung Expo 64 erhält die Westschweiz mit der Strecke zwischen Genf und Lausanne ihre erste Autobahn. Der grösste Teil der Autobahnen wird zwischen 1965 und 1975 gebaut, bis 1980 sind mehr als 80 Prozent des Netzes vierspurig. Wichtige Meilensteine in dieser Phase sind die Eröffnung des San-Bernardino-Tunnels zum Jahresende 1967 und natürlich der Gotthard- Strassentunnel, der am 5. September 1980 nach zehnjähriger Bauzeit fertiggestellt wird.
Tempolimit? Fehlanzeige
Mit dem Verkehr steigt jedoch auch die Zahl der Verkehrstoten. 1700 Menschen sterben 1970 auf den Strassen – Grund dafür sind hauptsächlich fehlende Mittelleitplanken und Geschwindigkeitsbegrenzungen. Noch Anfang der 60er-Jahre will der Bundesrat von Tempolimits auf Autobahnen nichts wissen.
Die Obergrenze von 120 km/h gilt erst seit 1985, vorher darf man teilweise bis zu 130 Stundenkilometer schnell über den Asphalt brettern. Immerhin nimmt die Zahl der Verkehrstoten seit dem traurigen Höhepunkt von 1970 stetig ab, 2023 liegt sie gemäss Bundesamt für Statistik noch bei 236 Personen.
Heute beträgt die Länge des Nationalstrassennetzes 2254 Kilometer. Es erfährt im Verlauf der letzten Jahre wegen Engpässen diverse Kapazitätserweiterungen: Die wichtigsten sind etwa die dritte Röhre des Bareggtunnels (2004), die Erweiterung des A1-Abschnitts zwischen Härkingen und Wiggertal (2015) auf sechs Spuren oder die Inbetriebnahme der dritten Gubriströhre (2023). Für die Region Zürich besonders wichtig ist die Westumfahrung mit dem Uetlibergtunnel (2009).
Die erste Autobahn der Schweiz. Die Strecke Luzern-Ennethorw um 1955. Foto: Staatsarchiv Luzern
Autobahnnetz kurz vor dem Kollaps
So wichtig die Autobahnen für Güter- und Personenverkehr sind, so umstritten sind sie heute – das zeigt das Referendum gegen den geplanten Autobahnausbau (s. Box). Fakt ist: Seit 2010 hat sich die «Anzahl der erfassten Staustunden auf den Nationalstrassen mehr als verdoppelt, wobei in erster Linie die Staus wegen Verkehrsüberlastungen zunahmen», wie es das Bundesamt für Statistik auf seiner Website schreibt. Konkret standen Schweizerinnen und Schweizer 2022, das sind die aktuellsten Daten des Bundes, knapp 40000 Stunden im Stau. Im Vergleich zu 2021 bedeutet das ein Plus von 23 Prozent. Die Gründe sind klar: Die Schweiz hat als Wirtschafts- und Lebensstandort in den letzten Jahren weiter an Attraktivität gewonnen, die Bevölkerung wächst. Seit Ende Juni 2023 leben über neun Millionen Menschen hier, 1995 waren es erst sieben Millionen. Mit diesem Bevölkerungswachstum kann das Autobahnnetz nicht mithalten. Zum Vergleich: Seit 1990 ist es bloss um 25 Prozent gewachsen, das Verkehrsaufkommen in derselben Zeit allerdings um 130 Prozent. An einem Montagabend von Bern nach Zürich fahren, ohne auch nur einmal in der Blechkolonne zu stehen? Unmöglich.
Und so ist die Geschichte des Schweizer Autobahnnetzes auch eine, die euphorisch beginnt und die der Schweiz wirtschaftlich lange den Rücken freigehalten hat – die mittlerweile aber zum politisch höchst emotionalen Zankapfel geworden ist. Dabei geht es in der aktuellen Diskussion nicht darum, das Autobahnnetz zu verlängern. Sondern es schlicht vor dem totalen Kollaps zu retten.
Mit dem Verkehr steigt jedoch auch die Zahl der Verkehrstoten. 1700 Menschen sterben 1970 auf den Strassen – Grund dafür sind hauptsächlich fehlende Mittelleitplanken und Geschwindigkeitsbegrenzungen. Noch Anfang der 60er-Jahre will der Bundesrat von Tempolimits auf Autobahnen nichts wissen.
Die Obergrenze von 120 km/h gilt erst seit 1985, vorher darf man teilweise bis zu 130 Stundenkilometer schnell über den Asphalt brettern. Immerhin nimmt die Zahl der Verkehrstoten seit dem traurigen Höhepunkt von 1970 stetig ab, 2023 liegt sie gemäss Bundesamt für Statistik noch bei 236 Personen.
Heute beträgt die Länge des Nationalstrassennetzes 2254 Kilometer. Es erfährt im Verlauf der letzten Jahre wegen Engpässen diverse Kapazitätserweiterungen: Die wichtigsten sind etwa die dritte Röhre des Bareggtunnels (2004), die Erweiterung des A1-Abschnitts zwischen Härkingen und Wiggertal (2015) auf sechs Spuren oder die Inbetriebnahme der dritten Gubriströhre (2023). Für die Region Zürich besonders wichtig ist die Westumfahrung mit dem Uetlibergtunnel (2009).
Die erste Autobahn der Schweiz. Die Strecke Luzern-Ennethorw um 1955. Foto: Staatsarchiv Luzern
Autobahnnetz kurz vor dem Kollaps
So wichtig die Autobahnen für Güter- und Personenverkehr sind, so umstritten sind sie heute – das zeigt das Referendum gegen den geplanten Autobahnausbau (s. Box). Fakt ist: Seit 2010 hat sich die «Anzahl der erfassten Staustunden auf den Nationalstrassen mehr als verdoppelt, wobei in erster Linie die Staus wegen Verkehrsüberlastungen zunahmen», wie es das Bundesamt für Statistik auf seiner Website schreibt. Konkret standen Schweizerinnen und Schweizer 2022, das sind die aktuellsten Daten des Bundes, knapp 40000 Stunden im Stau. Im Vergleich zu 2021 bedeutet das ein Plus von 23 Prozent. Die Gründe sind klar: Die Schweiz hat als Wirtschafts- und Lebensstandort in den letzten Jahren weiter an Attraktivität gewonnen, die Bevölkerung wächst. Seit Ende Juni 2023 leben über neun Millionen Menschen hier, 1995 waren es erst sieben Millionen. Mit diesem Bevölkerungswachstum kann das Autobahnnetz nicht mithalten. Zum Vergleich: Seit 1990 ist es bloss um 25 Prozent gewachsen, das Verkehrsaufkommen in derselben Zeit allerdings um 130 Prozent. An einem Montagabend von Bern nach Zürich fahren, ohne auch nur einmal in der Blechkolonne zu stehen? Unmöglich.
Und so ist die Geschichte des Schweizer Autobahnnetzes auch eine, die euphorisch beginnt und die der Schweiz wirtschaftlich lange den Rücken freigehalten hat – die mittlerweile aber zum politisch höchst emotionalen Zankapfel geworden ist. Dabei geht es in der aktuellen Diskussion nicht darum, das Autobahnnetz zu verlängern. Sondern es schlicht vor dem totalen Kollaps zu retten.
Darum geht es beim geplanten Autobahnausbau
Um die Funktionsfähigkeit des Nationalstrassennetzes zu erhalten, will der Bund bis 2030 rund 11,5 Milliarden Franken in Betrieb, Unterhalt und punktuelle Erweiterungen von Schweizer Autobahnen investieren. Vorgesehen ist unter anderem ein Ausbau der A1 zwischen Wankdorf und Kirchberg auf sechs Spuren sowie die Finanzierung des Rosenbergtunnels in St. Gallen oder des Rheintunnels in Basel. National-und Ständerat haben den Projekten zugestimmt, mehrere Verbände haben nun das Referendum dagegen ergriffen. Voraussichtlich im November kommt die Vorlage vors Volk.
Um die Funktionsfähigkeit des Nationalstrassennetzes zu erhalten, will der Bund bis 2030 rund 11,5 Milliarden Franken in Betrieb, Unterhalt und punktuelle Erweiterungen von Schweizer Autobahnen investieren. Vorgesehen ist unter anderem ein Ausbau der A1 zwischen Wankdorf und Kirchberg auf sechs Spuren sowie die Finanzierung des Rosenbergtunnels in St. Gallen oder des Rheintunnels in Basel. National-und Ständerat haben den Projekten zugestimmt, mehrere Verbände haben nun das Referendum dagegen ergriffen. Voraussichtlich im November kommt die Vorlage vors Volk.
Kommentar hinzufügen
Kommentare