Rückfahrkameras
Elektronik rettet Leben
sco. Die Schlagzeilen sind traurig und leider altbekannt. «Tödlicher Unfall: Lastwagen erfasst elfjähriges Mädchen», meldete «TeleBärn» im November 2018. «Die Buben waren wohl im toten Winkel», titelte der «Blick» im Dezember 2018. «16-jähriger Velofahrer stirbt bei Unfall mit LKW», lautete der Titel der «Berner Zeitung» ebenfalls im Dezember 2018.
Hinter jeder dieser Schlagzeilen steht eine persönliche Tragödie nicht nur für die Opfer und deren Familien, sondern auch für die Chauffeure, denen die tödlichen Fehler unterlaufen sind und die mit den Folgen leben lernen müssen. Das Problem ist virulent und wird in der EU seit 2012 diskutiert: Systeme zur Verringerung toter Winkel bei Lastwagen und Bussen können Chauffeure vor Fussgängern und Radfahrern warnen und helfen, schwere Unfälle zu vermeiden. Rund 20 Prozent der Unfälle von LKW mit Fussgängern oder Velofahrern passieren beim Rechtsabbiegen.
Rückfahrkameras bei Giezendanner
Die Technik existiert, die Verbreitung jedoch ist nach wie vor gering. Das wird sich ab 2022 ändern: Das EU-Parlament und die Mitgliedstaaten haben sich darauf geeinigt, bestimmte Technologien für die Sicherheit von Verkehrsteilnehmern in neuen Fahrzeugen künftig vorzuschreiben – darunter Abbiege-Assistenten.
Schon einen Schritt weiter ist die Transportfirma Giezendanner AG in Rothrist. Sie hat an sämtlichen Fahrzeugen für Stückguttransporte Heckkameras installiert. Die Nachrüstung hat einen traurigen Hintergrund: Beim Rückwärtsfahren drückte ein Mitarbeiter der Firma im Jahr 2016 seinen Arbeitskollegen an eine Rampe. Der 27-Jährige verstarb elf Tage später im Spital an seinen Verletzungen. «Man sieht einen 40-Grad-Winkel vom Spiegel aus, der Rest ist toter Winkel», sagte der Chauffeur im November 2018, als er sich vor dem Bezirksgericht Zofingen für den tödlichen Unfall verantworten musste. Bis heute kämpft der 30-Jährige mit den Folgen des Unfalls.
«Wenn Sie mich im Februar gefragt hätten, ob wir die Heckkameras installiert haben, dann hätte ich Ihnen bestätigt, dass das Projekt abgeschlossen sei», sagt CEO Benjamin Giezendanner zu AUTOINSIDE. Heute stimme das nicht mehr ganz. Der Grund liegt darin, dass Giezendanner per 1. März die ebenfalls in Rothrist ansässige Rüegger Transport AG übernommen hat. Einige der übernommenen Fahrzeuge verfügen (noch) nicht über Rückfahrkameras. «Aber mit jeder Vorführung bei der Motorfahrzeugkontrolle nehmen wir die Nachrüstung vor», so Giezendanner. Rund 1500 Franken koste das System mit Kamera und Display in der Fahrerkabine pro Fahrzeug. Während die LKW für die Stückgutverteilung umgerüstet sind, verfügen die Tankzüge von Giezendanner über kein derartiges System. Benjamin Giezendanner erklärt: «Da wir Container und Tanks auch auf die Bahn verladen, ist die Nachrüstung bei diesen Fahrzeugen gar nicht machbar.»
Nachrüstlösungen existieren
Der tragische Unfall bei der Giezendanner AG machte 2016 schweizweit Schlagzeilen. «Auch wir haben kurzfristig einen Anstieg der Anfragen verspürt», sagt Flavio Zani, Geschäftsführer der Krautli (Schweiz) AG. Krautli bietet verschiedene Nachrüstlösungen für Nutzfahrzeuge und landwirtschaftliche Fahrzeuge an (siehe Box). Das sind einerseits die erwähnten Rückfahrkameras, neu aber auch Abbiege-Assistenten.
Vor fünf Jahren begann Krautli mit der Eigenmarke «EyeSystem». «Heute haben wir das breiteste Sortiment in der Schweiz», sagt Flavio Zani. Entscheidend für die Qualität sei in erster Linie die Qualität der Kamera: «In Asien kann man solche Kameras sehr günstig beschaffen.» Mit den billigsten in der Schweiz verfügbaren Produkten könne und wolle er deshalb gar nicht mithalten. «Zumal die Nachrüstung eines LKW im Vergleich zu den Beschaffungskosten eigentlich ‹Peanuts› ist.» Beliebt sind einfache Systeme mit Kameras und einem Monitor im Cockpit; die Übertragung der Bilder erfolgt wahlweise über Kabel oder WLAN.
In Zukunft bietet Krautli für LKW auch Abbiege-Assistenten an: Das ProViu-Detect von Continental ermittelt die Position von Fussgängern und Velofahrer und warnt bei Kollisionsgefahr. Damit die traurigen Schlagzeilen ganz am Anfang dieses Texts weniger werden.
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Thuner Johanna 27. September 2019 - 9:03