Autogewerbe im Wandel
Neue Ideen, wenn das Kerngeschäft harzt
14. Juni 2019 agvs-upsa.ch – Wachstum bei der Elektromobilität, zunehmende Digitalisierung, steigende Auflagen der Importeure: Das Leben der Schweizer Garagisten wird härter. Welche Möglichkeiten bleiben, wenn die Umsätze im Kerngeschäft rückläufig sind?
Mit dieser Frage beschäftigt sich die Diplomarbeit, die Gregor Eckert im September 2018 der Universität St. Gallen (HSG) vorlegte. Eckert ist stellvertretender Geschäftsführer der NS Autoersatzteile AG in Langendorf SO und Präsident der Union der freien Fahrzeugteile-Grossisten (UGS). Seine Diplomarbeit war Teil seiner Ausbildung zum diplomierten Vertriebsleiter HSG.
«Der Automobilmarkt verändert sich rasant», erklärt Gregor Eckert im Gespräch mit AUTOINSIDE. «Meine Arbeit beschäftigt sich mit der Fragestellung, welche Kompetenzen dem Unternehmen bleiben, sofern man das Kerngeschäft ausblendet, und ob sich aus dem Verbleibenden ein neues Kerngeschäft generieren lässt.» Ziel sei das Aufspüren von neuen Geschäftsfeldern, in denen man seine teilweise während Jahrzehnten erworbenen Kernkompetenzen gewinnbringend und zukunftsträchtig einbringen kann.
«Wo finde ich einen Mehrwert oder Zusatznutzen?»
Eckert ist seit 17 Jahren im Autogewerbe tätig. Entsprechend floss viel von seiner Erfahrung in die Diplomarbeit ein – exemplarisch auf einen Autoersatzteil-Grossisten gemünzt. Doch das Modell ist auf jede Branche und jeden Geschäftsbereich anwendbar: «Auf den freien Garagisten bezogen könnte die Fragestellung in etwa lauten: Die Erlöse im Kerngeschäft Reparatur und Wartung stagnieren oder sind rückläufig. Was kann ich tun? Wo finde ich einen Mehrwert beziehungsweise Zusatznutzen für bestehende und potenziell neue Kunden?»
Die Gründe für wirtschaftliche Probleme eines Garagenbetriebs können mannigfaltig sein: stetig längere Garantiefristen bei Neuwagen, längere Service-Intervalle, ein Rückgang der Unterhaltsarbeiten mit dem Aufkommen der Elektromobilität oder auch erodierende Margen im Neuwagenverkauf, um nur einige zu nennen.
Natürlich hat man als Unternehmer die Möglichkeit, neue Produkte in ein bestehendes Angebot aufzunehmen. Aber das sind oft operative Entscheide. Eckerts Modell geht weiter: Er richtet in seiner 69 Seiten umfassenden Arbeit den Fokus auf mittel- bis langfristige Transformation. Die Arbeit lehnt sich an das «Customer Value»-Modell von Professor Christian Belz von der HSG an.
Vierstufiger Phasenplan
Ein wesentlicher Teil der Arbeit ist der von Eckert entwickelte Phasenplan. In der ersten Phase werden die bestehenden Kernkompetenzen aus dem Leistungsangebot ausgeklammert, Eckert nennt diesen Prozess «Extrahieren». «Damit sollen erste Ideen für ein allfälliges neues Kerngeschäft generiert werden.»
In der zweiten Phase werden die erwähnten Kernkompetenzen neutral, also branchenunabhängig, umformuliert und zusammengefasst. In der dritten Phase geht es darum, die neutral formulierten Begriffe einem allfällig neuen Bedarf gegenüberzustellen. Grundlage dafür ist eine umfassende Marktanalyse. Eckert: «Diese Analyse basiert einerseits auf statistischen Daten, aber auch auf verschiedenen Experteninterviews.» Ob sich durch das neue Kerngeschäft zusätzlich eine USP, ein Alleinstellungsmerkmal, ergibt, wird am Schluss der Analyse ersichtlich.
Stimmen die Kernkompetenzen mit dem Marktbedarf überein, wird in einer abschliessenden vierten Phase das neue Kerngeschäft definiert. Eckert nennt diese Phase «Interkalation» und erklärt das ungewohnte Fremdwort mit einem Schmunzeln: «Es hat mich einiges an Rechercheaufwand gekostet, bis ich den passenden Begriff gefunden habe.» Der Begriff Interkalation stammt aus dem Lateinischen (intercalare = einschieben) und beschreibt den chemischen Prozess, bei dem Moleküle, Ionen (seltener auch Atome) in chemische Verbindungen eingeschoben werden, ohne deren Struktur wesentlich zu verändern.
Eckert: «Und genau darum geht es: Die Kernkompetenzen werden aus dem bestehenden Kerngeschäft in ein neues verschoben.» Die Kernkompetenz des Unternehmens wird dabei nicht verändert.
Eckert: «Beste Voraussetzungen»
Die Schweizer Garagisten seien prädestiniert für solche Veränderungsprozesse, ist Eckert überzeugt: «Garagisten sind intelligente, vernetzt denkende und kundenorientierte Persönlichkeiten. Sie besitzen die besten Voraussetzungen, ihre bestehenden Kernkompetenzen in ein allfällig neues Kerngeschäft zu interkalieren.» Er denke da an Themen wie den Wandel weg von Reparatur- und Schadenbewirtschaftungen hin zur Etablierung als regionaler Mobilitätspartner («Das schliesst Reparaturen von Fahrzeugen nicht aus.»), wie Sharing-Lösungen oder wie den Ausbau von Kooperationen mit Institutionen wie Versicherungen und Behörden.
Das schönste Konzept bleibt ein Papiertiger, wenn daraus kein Massnahmenplan entsteht und keine Umsetzung erfolgt. Als stellvertretender Geschäftsführer der NS Autoersatzteile hat Eckert die Arbeit in der eigenen Unternehmung einem Praxischeck unterzogen. Ausgehend von den NS-Kernkompetenzen Logistik und Distribution bietet der Autoersatzteilhändler neu seine Dienste als regionaler Logistik-Dienstleister an. Erste Resultate sind ermutigend.
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